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Das Lohnarbeitssystem – ein Auslaufmodell?

Das Lohnarbeitssystem – ein Auslaufmodell?
Stella Friedland & Frithjof Bergmann

Das Lohnarbeitssystem – ein Auslaufmodell?

Wieso unsere Arbeit sich verändern muss

Lohnarbeit reduziert den Menschen auf die jeweils gerade benötigte Arbeitskraft. Wenn jemand eingestellt wird, um eine präzise definierte Aufgabe zu erfüllen, zum Beispiel Sand zu schaufeln oder Schrauben festzudrehen, ist es völlig uninteressant, ob derjenige auch noch gut singen und dichten kann.

Wie funktioniert Lohnarbeit?

Jemand will etwas herstellen. Dazu braucht er Hilfe in Form menschlicher Arbeitskraft. Diese Arbeitskraft muss für ihn billiger oder effizienter sein als eine Maschine. Dadurch, dass die Arbeitskraft gekauft und genutzt wird, muss am Ende mehr Wert oder Bargeld herauskommen. So entstehen Arbeitsplätze.

Wie wird eigentlich aus Arbeit ein Arbeitsplatz?

Eigentlich ist nicht die Arbeit knapp, sondern die Arbeitsplätze sind es. Die Arbeit selbst ist unendlich, wie Frithjof Bergmann immer wieder ausführt.

Dadurch, dass man von jemandem an- oder eingestellt wird, wird jetzt nun also aus Arbeit ein Arbeitsplatz. Dass man etwas leistet, was für jemand anderen einen Wert hat, seine Macht und/oder seinen Reichtum vergrößert. Dafür wird der Arbeitnehmer bezahlt.

Das Problem der Arbeitsplatzknappheit besteht darin, dass die Arbeit sich am Ende für jemanden auszahlen muss, sie muss Wert für jemand anderen erzeugen.

Lohnarbeit? – Jahrhundertelang kam die Menschheit ohne sie aus

Die Menschheit hat den größten Teil ihrer Existenz ohne das Lohnarbeitssystem verbracht. Dieses System ist erst mit der Industrialisierung entstanden und ist historisch gesehen noch relativ jung. Zweihundert Jahre ist es alt – in der Menschheitsgeschichte sind das fünf Minuten. In der Geschichte der Arbeit ist es momentan das letzte Kapitel. Aber das heißt ja nicht, dass es dabei bleiben muss und nicht etwas kommen könnte, was das Lohnarbeitssystem ersetzt.

Mit der Lohnarbeit fing der Niedergang des ländlichen bäuerlichen Lebens an, einer Lebensform, in der das „für sich selbst Arbeiten“ dominierte. Wenn Frithjof Bergmann das Leben auf dem Land als Gegenbild zur industriellen Lohnarbeit sieht, interessiert ihn zunächst nicht, dass gerade auch auf dem Lande die Menschen jahrhundertelang in bitterster Armut, Unfreiheit und ausbeuterischen Verhältnissen gelebt haben. Die industrielle Revolution ist ihm Synonym für unmenschliche Arbeitsbedingungen, Elendsviertel, geringe Lebenserwartung und Kinderarbeit.

Diagnose: Das Lohnarbeitssystem ist krank und veraltet

Das Lohnarbeitssystem ist nicht nur krank, weil es innerhalb des Systems so viele Arbeitslose gibt, weil es also nicht funktioniert, weil es so viele Menschen ausschließt. Es ist auch krank, weil es nicht notwendig gut für diejenigen ist, die Arbeit haben.

Als die Lohnarbeit wie eine Rotte Wildschweine über das Dorfleben hereinbrach, brachte es Ausbeutung, Krankheit, Erschöpfung, Körper und Geist zermarternde Armut mit sich. Mühsam gelang es den Gewerkschaften, das System etwas menschenwürdiger zu gestalten, aber die Probleme liegen im System selbst, egal wie oft es sich reformiert.

Innerhalb des Lohnarbeitssystems geschieht immer wieder derselbe Fehler im Gewand eines fast unwillkürlichen Reflexes: Wenn die Arbeitsplätze knapp sind, soll die Konjunktur wieder mit allen Mitteln in Schwung gebracht werden. Unter diesem Druck überhitzt sich die Wirtschaft immer mehr.

Und der Teufelskreis beginnt von vorn

Die Folgen sind bekannt: zunehmende Arbeitslosigkeit, zunehmende Armut. Und der Teufelskreis beginnt von vorn. Die durchdrehenden Räder graben sich nur tiefer in den Sand.

Das System ist krank, weil es Armut und Arbeitslosigkeit erzeugt. Die Arbeitslosigkeit hat ein solches Ausmaß erreicht, das die wirklichen Dimensionen von keiner Statistik erfasst werden. Drei Viertel der Menschheit leben in der Dritten Welt. Und dort erzeugt das Lohnarbeitssystem nicht nur Arbeitslosigkeit, sondern auch Armut.

In der westlichen Welt werden diejenigen, die Arbeit haben, vor Stress und Existenzangst immer kränker und ihr Leben wird immer ärmer. Weil sie für fast nichts mehr Zeit haben außer für ihre Arbeit. Weil die Arbeit das Wichtigste ist, der Omni-Wert, um den sich alles dreht. Wer das Glück hat, erst mit über 65 in Rente zu gehen, fällt oft ins Nichts, weil er nichts mehr mit seinem Leben anzufangen weiß.

Die Räder der Wirtschaftsmaschinerie drehen sich immer schneller

An dieser Stelle setzt seit einiger Zeit ein Irrglaube an, der einen fatalen Kreislauf in Gang setzt: Die Verfechter des Neoliberalismus glauben, dass in diesem System noch mehr Druck noch mehr Wachstum erzeugen und damit die Probleme lösen könnte. Dass sich die Räder der Wirtschaftsmaschinerie immer schneller drehen, hat jedoch bisher weder dazu geführt, dass mehr Menschen Arbeit haben, noch dazu, dass diejenigen, die arbeiten, mehr Freude an der Arbeit haben.

Die Lösung muss konsequenter und innovativer sein als die Formel vom Wachstum, das alle Probleme lösen würde.

Die Globalisierung ist gescheitert. Sie hat lediglich dazu geführt, das immer mehr Geld von unten nach oben verteilt worden ist, dazu, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden sind. Diese Entwicklung muss umgekehrt werden, führt sie sich doch ohnehin selbst ad absurdum, auch für diejenigen, die noch Arbeit haben. Wenn die Unternehmen die Löhne immer weiter drücken, wird es ohnehin bald niemanden mehr geben, der etwas kaufen kann.

Das Lohnarbeitssystem ist krank – weitere Symptome

Der staatlich geförderte Arbeits- und Weiterbildungsmarkt bewirkt gesamtgesellschaftlich gesehen nicht mehr, als dass er Tausende Arbeitslose aus der Statistik heraushält.

In der Kranken- und Altenpflege, bei der Kinderbetreuung und im Bildungssystem fehlen permanent Arbeitskräfte. Ein Ungleichgewicht, das im Lohnarbeitssystem begründet ist.

Das Lohnarbeitssystem führt zur Abwesenheit von Arbeit in der Jugend und im Alter und zu einem gnadenlosen Übermaß in den mittleren Jahren. Das sind biographische Schieflagen, die entweder durch ein Zuviel oder ein Zuwenig an Arbeit gekennzeichnet sind und in jedem Fall eine seelische Belastung für die Betroffenen darstellen.

Instrument der politischen und sozialen Machtausübung?

Angesichts der Tatsache, dass die meisten im Lohnarbeitssystem gefangenen Menschen eine Arbeit verrichten, die weit unter ihren Fähigkeiten und Talenten liegt, scheint die Frage berechtigt, ob das Lohnarbeitssystem tatsächlich ein System der Arbeit ist oder ob es sich nicht eher um ein Instrument der politischen und sozialen Machtausübung handelt.

Zustandsbeschreibung 1: Der arbeitende Mensch in der westlichen Welt 


„Dass ein so großer Teil der gesamten Menschheit so große Schwierigkeiten hat, wirklich Mensch zu werden, dass so viele Menschen unglücklich und in sich zusammengesunken sind – schauen Sie in der U-Bahn doch nur einmal den an, der neben Ihnen sitzt –, dass sich große Teile der sogenannten ‚Massen‘ wahrlich in einem miserablen und deprimierenden geistigen und körperlichen Zustand befinden: das könnte man die große Enttäuschung, das herzzerreißend traurige Versagen einer langen Reihe frustrierender Bestrebungen nennen, die mit der Französischen Revolution begann.

Die hochgestochenen, wellentanzenden, überschäumenden Hoffnungen, welche die Menschen damals geradezu trunken machten, stehen in erschreckendem Kontrast zu den Gesichtern mit dem trüben Blick, zu der Leblosigkeit und Geistlosigkeit, die die sogenannte Demokratie tatsächlich hervorgebracht hat. Und es sind die Gesichter der Pendler während ihres langen Wegs von zu Hause in die Arbeit und von der Arbeit wieder nach Hause, in denen sich diese Enttäuschung besonders unmissverständlich widerspiegelt. Es ist dieser Anblick, das Panoptikum dieser Amputationen, das den ersten Anstoß zur Entwicklung der Neuen Arbeit gab.“

Zustandsbeschreibung 2: Der arbeitende Mensch in der Dritten Welt

Frithjof Bergmann hat seine Erfahrungen mit der Lohnarbeit in der Dritten Welt auf zahlreichen Reisen durch Städte, Vorstädte, Slums und ländliche Gebiete gesammelt. Er hat mit vielen Menschen über ihre Situation gesprochen und das Elend gesehen, das die Lohnarbeit dort erzeugt.

„Man kann dieses Elend auf jedem Bürgersteig, auf jedem Bahnhof und ganz gewiss in der Nähe eines jeden Hotels beobachten, sei es nun in Bombay, Moskau, Buenos Aires oder Mexiko City – oder natürlich auch in Detroit. Da sieht man Menschen herumlungern und warten. Sie stehen an einer Kreuzung und bieten jedem Autofahrer, der anhalten muss, Orangen an; sie postieren sich neben einer Tür und warten darauf, sie für jemanden aufzumachen; sie hocken vor einer kleinen Pyramide von Tomaten oder Mangos und verbringen den ganzen Tag damit, diese paar Früchte zu verhökern, die wahrscheinlich längst verdorben sind, bevor jemand sie kauft. Sie ‚arbeiten‘, manche sogar vermeintlich ‚für sich selbst‘ (d. h. als Unternehmer, als selbständige Geschäftsleute), andere natürlich, weil es ihr Job ist.

Fragen Sie den Taxifahrer, der da in einer langen Reihe klappriger Autos steht, wie lange er warten muss, wie viele Fahrten er an einem Tag bekommt! Fragen Sie die Trauben von Menschen, die an einem Bahnhof darauf warten, einen Koffer tragen zu können, wie viele Minuten am Tag der Einzelne tatsächlich ein Gepäckstück trägt! Und vergessen Sie nicht, dass viele dieser Menschen unlängst noch auf ihrem Bauernhof gearbeitet haben, man sieht es ihrem Körper und ihren Händen an. Was ist die ‚Arbeit‘, die sie jetzt tun, im Vergleich zu ihrer früheren Arbeit und, noch viel wichtiger, im Vergleich zu der Arbeit, die sie leisten könnten … wenn das Lohnarbeitssystem nicht so wäre, wie es ist? Nehmen Sie dies als ein Symbol, als eine Metapher, als eine Abbildung der Abwertung der Arbeit, die das Lohnarbeitssystem angerichtet hat.“

Fazit

Arbeit ist nicht mehr etwas, was gut für Menschen ist. Arbeit in ihrer heutigen Form demütigt den Menschen in erheblichem Maß. Mit dem Lohnarbeitssystem wird ein absurder Zustand am Leben erhalten, der den Menschen kleinmacht. Die Neue Arbeit ist eine Alternative zum Lohnarbeitssystem.

 

Dieser Artikel stammt aus dem Buch Neue Arbeit kompakt.

Weiteres Material
Ein Portrait über Frithjof Bergmann
Frithjof Bergmann ein großer Philosoph unserer Zeit und geistiger Vater der „Neuen Arbeit“ ist am Pfingstmontag, den 24. Mai im Alter von 90 Jahren gestorben. 
„Arbeit, die man wirklich, wirklich tun will“

Die Neue Arbeit versteht sich nun ganz entschieden als Alternative zum Lohnarbeitssystem. Da das Lohnarbeitssystem sich als völlig ineffizient und unproduktiv erweisen hat, auch nur eins der anstehenden Probleme annähernd zu lösen, muss es durch ein neues System abgelöst werden.

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