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Wir brauchen das Ego nicht mehr!

Wir brauchen das Ego nicht mehr - Mann unter Sternenhimmel
Michaela Doepke & Peter Baumann

Wir brauchen das Ego nicht mehr!

Interview mit Peter Baumann

Peter Baumann gab seine Karriere als Musiker auf und setzt sich heute für menschliche Werte ein. Im Gespräch mit Michaela Doepke über sein Buch "Das Ego und warum wir es nicht länger brauchen" erläutert er seine Überzeugung, warum wir einer Revolution der Erleuchtung entgegen gehen.

Wie kam es, dass Sie Ihre Karriere als erfolgreicher Musiker der international gefeierten Band Tangerine Dreams aufgegeben haben und heute mit der Baumann Foundation Werte wie Ethik und Menschlichkeit unterstützen?

Meine Zeit mit der Band Tangerine Dreams war sehr aufregend und wir haben viel Erfolg gehabt. Doch irgendwann war diese Phase vorbei. Ich entschied mich, nach Amerika zu ziehen und verkaufte meine Plattenfirma. Das war in den späten 70er Jahren. Ich hatte genug Geld und war auch sehr glücklich verheiratet. Doch mit Ende vierzig stellte ich mir die Frage: „Wahrscheinlich bleiben mir auf diesem Planeten noch ungefähr zehntausend Tage. Wie kann ich mit dieser Zeit auf die sinnvollste und nützlichste Art umgehen?“ Und so habe ich mir vorgenommen, das einfach mal zu studieren. Da ich nicht auf dem spirituellen Weg war und auch kein Akademiker, habe ich mir alles angesehen, was mit menschlicher Erfahrung zu tun hat, im Zeitraum vor 2000 Jahren bis heute. Das ging von Buddhismus, Hinduismus, Neurowissenschaften bis zu Evolutionspsychologie. Die Einsichten waren so faszinierend, dass ich gesagt habe: Jetzt möchte ich das mit einer Stiftung unterstützen und die Erkenntnisse einem größeren Publikum vermitteln.

In Ihrem neuen Buch vertreten Sie die Ansicht, dass wir das Ego nicht länger brauchen. Heißt das, die Menschen sollen sich nicht so wichtig nehmen?

Evolution und Kultur haben uns geprägt, uns wichtig zu nehmen. Aber meiner Meinung nach sind wir in der westlichen Welt so sehr verschmolzen mit der Idee, die wir von uns selbst haben, dass da nicht viel Freiheit bleibt. Und es existiert eine unheimliche Angst, nicht erfolgreich zu sein oder nicht akzeptiert zu werden. Wenn wir uns weniger wichtig nehmen, dann gibt es mehr Freiheit im Leben. Das Leben wird wesentlich einfacher. Die These, die Michael Taft und ich in unserem Buch vertreten, ist, dass das Ego nicht ein Ding ist, sondern ein Prozess. Natürlich brauchen wir den Prozess des Egos, um uns in den komplizierten sozialen Beziehungen richtig zu verhalten. Das Ego muss als Funktion voll in Takt sein, sonst könnte man sich nicht in der Gesellschaft bewegen. Genauso wie wir im Körper ein zentrales Nervensystem brauchen, so brauchen wir auch ein Ego als Funktion. Aber meiner Meinung nach ist es möglich, dass man sich mit dieser Funktion nicht identifiziert und sagt, das bin Ich. Wir sind nicht das Ego.

Ein Beispiel: Ich habe früher als Kind immer Mensch ärgere dich nicht gespielt mit so kleinen Figuren. Und wenn ich eine bestimmte Farbe hatte, dann wollte ich, dass diese kleine Figur gewinnt und nicht verliert. Wenn sie gewonnen hatte, dann fühlte ich mich gut, und wenn sie verloren hatte, dann fühlte ich mich schlecht. Diese Figur ist ja nur ein kleines Holzstück, aber sie symbolisiert eine Funktion in diesem Spiel. Genauso hat meiner Meinung nach das Ego die Funktion in dem Spiel des Lebens, dass wir uns in einer sozialen Gesellschaft eingebunden zu fühlen.

Sie belegen in Ihrem Buch mithilfe der Gehirnforschung und der Evolutionstheorie, dass das Ego nicht unser Boss ist, sondern lediglich eine Funktion unseres Organismus. Demnach trifft das Gehirn unsere Entscheidungen, nicht das Ego. Weiß das Gehirn mehr als wir selbst?

(Lacht) Ja und Nein. Sie selbst sind ja der ganze Körper mit den Funktionen des Gehirns. Das Ego ist integriert in den ganzen Prozess des Gehirns als Funktion. Das Gehirn weiß mehr als wir selbst in dem Sinne, dass viele von den Dingen, die uns bewegen, für uns unsichtbar bleiben und unter der Schwelle des Bewusstseins liegen. Häufig werden wir von Impulsen motiviert, bevor wir uns darüber bewusst sind. Also viele Prozesse im Gehirn funktionieren, ohne dass wir uns darüber bewusst sind. Und das ist gut so, denn sonst würden wir von der Informationsflut völlig überwältigt werden.

Wie würden Sie einen Menschen vom Vorteil überzeugen oder ermutigen, die Identifikation mit seinem Ego aufzugeben? Manche Menschen hätten vielleicht Angst vor einem Persönlichkeitsverlust.

Das Ego als Funktion kann man gar nicht aufgeben, aber wenn man seine Identifizierung damit aufgibt, dann nimmt man das Leben etwas weniger persönlich und bezieht nicht mehr alles nur auf sich. Dann realisiert man, dass das Leben Teil eines größeren Prozesses ist und wir ein Bestandteil davon sind. Wenn eine starke Identifikation und Beziehung mit dem Ego vorliegt, dann sieht man sich getrennt von dem Rest der Gesellschaft und von dem Leben als Ganzem. Aber jemanden zu ermutigen, er solle sich damit nicht identifizieren, geht sehr weit. Ich meine, dass es ein natürlicher Prozess ist, wenn die Menschen und die Kultur im Laufe der Entwicklungsgeschichte reifer werden und die Identifizierung mit dem Ego damit schwächer und sich im Linearen auflöst. Also das ist unser Argument in dem Buch, dass wir uns heute ethisch besser benehmen als noch vor 500 Jahren. Natürlich mit Ausnahmen. Aber statistisch gesehen sind wir eine wesentlich reifere Gesellschaft heute.

Was verstehen Sie unter Revolution der Erleuchtung?

Also Erleuchtung hat aus meiner Sicht zwei Seiten. Die eine spiegelt das Zeitalter der Aufklärung und die Wissenschaft, die uns erklärt, wie das Leben funktioniert und wo das Universum herkommt. Und auf der anderen Seite gab es die Erleuchtung der östlichen Weisheitstraditionen. Die Revolution, von der ich spreche, ist, dass wir meiner Meinung nach mehr und mehr erfahren von der Wissenschaft, aber dass gleichzeitig auch unsere Kapazität zur Befreiung der Identifizierung mit dem Ego wächst. Wenn unsere Gesellschaft reift, dann wächst auch die Fähigkeit, sich nicht mehr als Einzelnen zu betrachten, sondern als Teil eines größeren Prozesses. Das ist meiner Meinung nach die nächste postpersonale Revolution, in der sich die Menschen nicht mehr so sehr an Konzepten orientieren, sondern mehr und mehr lernen, sich zu integrieren.

Wie sieht Ihre Vision einer erleuchteten Gesellschaft aus?

Also ich habe keine Vision. Ich glaube nicht, dass das irgendwie realistisch ist. In der Vergangenheit haben wir uns mit Stöcken und Gewehren physisch auseinander gesetzt. Heute kämpfen die Leute eher mit verschiedenen ideologischen Standpunkten. Meiner Meinung nach ist die nächste Stufe, dass wir anerkennen, dass verschiedene Menschen verschiedene Ansichten haben und es wesentlich reifer ist, sich an einen Tisch zu setzen und die verschiedenen Perspektiven zu diskutieren. Also die Auseinandersetzung, die früher physisch war und dann ideologisch, wird meiner Meinung nach in der nächsten Entwicklungsstufe wesentlich reifer gehandhabt werden.

Glauben Sie dass der momentane Achtsamkeitsboom (die New York Times sprach kürzlich von einer „Mindfulness Revolution“) eine neue Welle der Bewusstseinsänderung in der Gesellschaft auslösen wird?

Ja, das glaube ich schon. Ich finde, dass die Welt bewusster wird. Wir wissen heute, was in anderen Teilen der Welt passiert und wie andere Weltanschauungen aussehen. Als ich aufgewachsen bin, dachte man, China sei irgendwo hinter dem Mond. Und heute ist das ein Nachbar. In diesem Bewusstsein werden wir in Zukunft viel toleranter werden und die Fähigkeit entwickeln, das Beste aus allen verschiedenen Standpunkten miteinander zu verbinden und damit eine reifere Gesellschaft sein.

 

Peter Baumann ist Autor des Buches „Das Ego und warum wir es nicht länger brauchen“, das im Arbor Verlag erschienen, jedoch mittlerweile vergriffen ist.