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Weshalb es wesentlich ist, wie wir mit unseren Erfahrungen umgehen

Weshalb es wesentlich ist, wie wir mit unseren Erfahrungen umgehen: Sonnenblume
Rebecca Crane

Weshalb es wesentlich ist, wie wir mit unseren Erfahrungen umgehen

Strategien aus dem MBCT-Kurs, die das Risiko eines Rückfalls in die Depression senken

Ein und dieselbe Erfahrung kann unterschiedlich erlebt werden. Dabei spielt unsere momentane Gefühlslage und damit einhergehende Gedanken eine große Rolle. Wenn wir achtsam im Moment sind, können wir bewusst wahrnehmen, wie wir auf Ereignisse reagieren. Menschen, die zu Depression neigen, bekommen in einem MBCT-Kurs Strategien zur Hand, die ihnen helfen ihre Erfahrungen genau anzusehen. Auf diese Weise kann der Rückfall in die Depression eher vermieden werden.

Die besondere Weise, wie zu Depression neigende Menschen dazu tendieren, ihre Erfahrung zu verarbeiten, führt sowohl zu gesteigerter Anfälligkeit für Rückfall als auch, wenn die Depression einmal akut ist, zu den Faktoren, die sie aufrechterhalten. Das spezifische Ziel der MBCT ist es, Teilnehmer mit Strategien zu versehen, in Zeiten potentiellen depressiven Rückfalls effektiv mit diesen Prozessen zu arbeiten. Von ihrem Wesen her sind Achtsamkeit und innere Zustände, die einen Rückfall begünstigen nicht kompatibel.

Vier allgemeine Lernziele

Die Praxis der Achtsamkeit und die anderen Elemente des Curriculums des MBCT-Programms haben vier allgemeine Lernziele in Bezug auf Prozesse, die zu depressivem Rückfall führen. Die Teilnehmer lernen, das Potential zu entwickeln:

  1. Grübeln aufzugeben
  2. potentielle Geist-Körper-Prozesse, die zu depressivem Rückfall führen, zu erkennen und sich ihrer bewusst zu sein
  3. neue Weisen zu finden, wie man sowohl mit Aspekten der Erfahrung, die zu depressivem Rückfall führen, als auch mit anderen Aspekten der Erfahrung umgehen kann
  4. sich schwierigen wie auch anderen Aspekten der Erfahrung zuzuwenden, sich mit ihnen anzufreunden und sich auf sie einzulassen

1. Grübeln aufgeben

Unsere bewusste Aufmerksamkeit kann in einem bestimmten Zeitraum nur eine begrenzte Menge an Information verarbeiten. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit absichtlich auf bestimmte Aspekte der Erfahrung richten, schließen wir natürlich andere Aspekte von unserer unmittelbaren Aufmerksamkeit aus und beseitigen so die Quellen, die sie aufrechterhalten. Im Wesentlichen werden daher unsere Ressourcen an Aufmerksamkeit von negativem Denken und Grübeln weggelenkt, wenn man durch einen absichtlichen Fokus auf Sinneswahrnehmungen im Körper in der Aktualität des gegenwärtigen Moments ist. Statt dem Drang zu folgen, Probleme durch konzeptuelles Denken zu lösen, wird die Aufmerksamkeit zu unmittelbarer Erfahrung gebracht.

Gedanken werden einfach als Ereignisse im Feld der Bewusstheit anerkannt. Dies dient dazu, zu verhindern, dass negative Zyklen zur Gewohnheit werden. Durch wiederholte Übung von Fähigkeiten zur Achtsamkeit trainieren die Teilnehmer ihre inneren Verarbeitungsmechanismen, um neue „absichtliche Gewohnheiten“ zu erzeugen, die durch Bewusstheit von Erfahrung von Moment zu Moment entstehen, statt von automatischen und gewohnten Mustern innerer Verarbeitung getrieben zu sein. Dieses neue Repertoire an Reaktionen wird zu einem Teil des Gedächtnisvorrats der Person und wird daher eher verfügbar sein, wenn es in Zuständen milder Depression besonders gebraucht wird (das heißt, bevor sich die Muster zu einer tiefen Depression verfestigt haben).

2. Modi der Verarbeitung, die zu einem Rückfall führen, erkennen und sich ihrer bewusst sein

Die Entwicklung achtsamer Bewusstheit mit MBCT ist anfangs darauf fokussiert, Teilnehmern durch ihre eigene direkte Erfahrung die Wirkungen gewohnter Muster von „Unbewusstheit“ zu erhellen und aufzudecken. Vor allem beobachten Teilnehmer die allgemeinen Muster und Gewohnheiten ihres Denkens und die besondere Tendenz, mit Autopilot zu funktionieren und in grüblerischen Denkzirkeln befangen zu sein.

Die Teilnehmer werden befähigt, diese Muster klar zu sehen. Sie werden auf die Weisen eingestimmt, wie sie unbewusst dabei mitwirken, sowohl ihr allgemeines Leiden als auch ihre Tendenz, depressiv zu werden, auszulösen und aufrechtzuerhalten.

3. Mit Aspekten der Erfahrung auf neue Weise umgehen

Die Veränderung in Richtung einer achtsameren Weise des Seins, zu der sowohl Akzeptanz als auch Achten auf die Aktualität des gegenwärtigen Moments gehört, befähigt die Teilnehmer, Zugang zu neuen Verarbeitungsweisen von depressionsbezogenen und anderen Aspekten der Erfahrung zu bekommen oder bei diesen Erfahrungen zu sein. Wenn man achtsam für die Einzelheiten physischer Empfindungen wird, besteht eine Wirkung darin, dass die „Nahrung“, die dafür gebraucht wird, negative Gedanken aufrechtzuerhalten, abgezogen wird.

Eine weitere Wirkung der Unterbrechung dieses gewohnten Fokus auf negative Gedanken ist eine Bewegung in Richtung eines frischen „Modus des Denkens“. Dies öffnet das Potential, dass wir uns auf eine radikal andere Weise zur Erfahrung verhalten, und ermöglicht so, dass neues Lernen und neue Perspektiven auftauchen. Dies kann man als eine Verschiebung vom „Modus des Tuns“ zum „Modus des Seins“ beschreiben. Diese Verschiebung des „Modus des Denkens“ ermöglicht den Teilnehmern, sich aus einer anderen Perspektive – von einer anderen Stelle aus – zu ihrer Erfahrung zu verhalten. Zu dieser neuen Weise, Erfahrung zu sehen, gehört, dass man anerkennt, dass unsere Erfahrung nicht notwendigerweise das ist, was unsere Identität erzeugt. So kann man Schwierigkeiten, die in einem Aspekt unserer Erfahrung auftauchen – körperlicher Schmerz, schmerzhafte Emotionen oder negative Gedanken –, als einen Aspekt unserer Erfahrung in diesem Moment sehen.

Von Moment zu Moment

Dies kann zu einer Verschiebung in der Wahrnehmung führen: von der Sicht der Schwierigkeiten als eine allumfassende Erfahrung, die Bewusstheit von allem anderen auslöscht und die zu der Weise wird, wie wir uns identifizieren, dazu, sie als Teil des „Teppichs“ und des Flusses des eigenen Lebens zu sehen. Auf diese Weise kann es möglich werden, die Schwierigkeit weniger persönlich zu nehmen und leichter mit ihr umzugehen. Teilnehmer an MBCT-Kursen lernen so, in der Lage zu sein, sich aus einer „dezentrierten“ Perspektive zu Aspekten der Erfahrung und besonders zu Denkmustern zu verhalten, die von negativem Denken und Grübeln bestimmt sind. Sie lernen, dass es möglich ist, sich zu ihrer Erfahrung zu verhalten, statt von ihr aus. Statt sich in dem Inhalt der Gedanken zu verlieren und von ihnen besetzt zu sein, wird es möglich, sie in einer weiteren Perspektive zu halten.

Ein anderer Schlüsselaspekt des Lebens von diesem neuen Modus des Denkens aus – dem „Modus des Seins“ – besteht darin, dass er die Teilnehmer befähigt, ihre unmittelbare Bewusstheit von Moment zu Moment auf ihre Entscheidungen und Handlungen im Leben wirken zu lassen. Teilnehmer werden fähig, achtsame Bewusstheit als einen Ort zu nutzen, von dem aus sie Entscheidungen treffen können, angemessen zu handeln, und wie sie klug für sich sorgen können. So wird eine explizite Verbindung zwischen „Sein bei“ und Annehmen des gegenwärtigen Moments einerseits und dem klugen Reagieren darauf gelernt.

4. Sich jeglicher Art von Erfahrung zuwenden, sich mit ihr anfreunden und sich auf sie einlassen

Der vierte Bereich allgemeinen Lernens, der eine Schlüsselkomponente der MBCT ist, ist das Training darin, sich der ganzen Bandbreite der Erfahrungen, die wir haben, „zuzuwenden“ – angenehmen, unangenehmen und neutralen. Dies kann die Vermeidung von Erfahrung schwieriger Emotionen, was als wichtiger auslösender Faktor bei einem Rückfall gilt, aufheben oder eine Alternative dazu bieten. Die Fähigkeit, sich „zuzuwenden“ wird dadurch kultiviert, dass die Teilnehmer Interesse und Neugier an der Entfaltung ihrer Erfahrung entwickeln. Die Teilnehmer lernen, diese Haltung des Interesses an ihrer Erfahrung mit Qualitäten der Wärme, der Freundlichkeit und des Mitgefühls zu füllen.

Der erste Schritt, der in der MBCT gelehrt wird, besteht immer darin, anzuhalten und klar zu sehen: Die Teilnehmer lernen so, ihre gewohnten Muster der Vermeidung schwieriger Emotionen zu erkennen. Sie lernen, ihrer Erfahrung und besonders diesen schwierigen Bereichen mit einer inneren Haltung zu begegnen, die von Akzeptanz, Freundlichkeit und Neugier gegenüber ihrer inneren Erfahrung charakterisiert ist. Dies befähigt die Teilnehmer, eine neue Weise der Beziehung mit Schwierigkeiten zu erfahren. Sie sind bei der MBCT eingeladen, statt wie gewohnt sich selbst gegenüber selbstkritisch und wertend zu sein, ihrer Erfahrung eine offene, warme, annehmende und mitfühlende Haltung entgegenzubringen. Damit beginnt eine Verschiebung von vermeidenden Verarbeitungsweisen zu einem absichtlichen „Hinwenden“ zu Erfahrung.

 

Dieser Artikel stammt aus dem Buch Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie.