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Kein Grund für ein Melodrama

Kein Grund für ein Melodrama: Wütende Frau mit Mütze
Philip Moffitt

Kein Grund für ein Melodrama

Achtsamer Umgang mit Wut

In der Tradition des Theravada-Buddhismus wird gelehrt, dass die Gegenmittel für Wut liebende Güte und Mitgefühl sind. Wenn wir auf jemanden wütend sind, dann umarmen wir ihn in in unserem Herzen mit liebender Güte und Mitgefühl; wenn wir wütend auf uns selbst sind, dann tun wir das Gleiche. Aber weil wir manchmal von Wut mitgerissen werden, vergessen wir unsere Absicht mit liebender Güte und Mitgefühl zu antworten. Zudem ist Wut nicht immer so leicht zu erkennen – manchmal tarnt sie sich als Gefühllosigkeit, Depression, Hilflosigkeit oder Angst.

Es gibt eine vielsagende Geschichte über zwei buddhistische Mönche, die zusammen in einem Gefängnis waren, wo sie auch gefoltert wurden. Viele Jahre nach ihrer Freilassung sehen sie sich wieder. Der eine Mönch fragt, „Hast du unseren Aufsehern vergeben?“ Der andere antwortet, „Ich werde ihnen nie vergeben! Niemals!“ Darauf sagt der erste Mönch, „Dann halten sie dich wohl immer noch gefangen, oder?“ Diese Geschichte illustriert sehr lebendig die Tyrannei der Wut.

Indem wir unseren Momenten der Wut mit Achtsamkeit begegnen, können wir die Wut sehen, wenn sie auftaucht, und können ihre schädlichen Wirkungen erkennen. Wenn wir uns ständig unserer Wut bewusst sind, dann verstehen wir: „Diese Wut bin nicht ich, es ist nicht meine Wut. Es ist einfach ein Zustand des Geistes, der sich so wie das Wetter bald wieder verändern wird.“ Diese Einsicht befreit uns aus dem Gefängnis der Wut. Obwohl sich das vereinfacht anhört, funktioniert es wirklich.

Aus Wut wird Mut

Wir können auf uns selbst oder jemand anderen wütend sein. Unsere Wut kann berechtigt oder unberechtigt sein. Wenn unsere Wut berechtigt ist, haben wir zwei Möglichkeiten: Wir können entweder etwas dagegen tun, oder nicht. Deshalb gibt es keinen Grund für ein Melodrama, das nur unser Leiden verstärkt. Wir können versuchen etwas zu tun, um den Auslöser der Wut zu verändern, aber wenn wir das nicht können, haben wir immer die Möglichkeit, einfach die Tatsache zu akzeptieren, das wir wütend sind.

Statt uns dafür zu verurteilen, dass wir wütend sind, können wir daran interessiert sein, wie wir unsere Wut geschickt nutzen, um uns selbst oder andere zu motivieren. Wut ist einfach nur Energie, es ist unsere Reaktion auf diese Energie, die zu Leiden führt. Wir suchen also nach einem positiven Weg, um diese Energie zu nutzen, die durch uns pulsiert, wenn wir wütend sind. Wenn wir unsere Identifikation mit der Wut lösen, dann können wir den Mut finden zu handeln.

Kein Benzin in's Feuer schütten

Manchmal gibt es die Tendenz, die Wut einfach loszulassen, aber wir können unsere Wut nutzen, um unseren eigenen Widerstand zu überwinden und dann angemessen mit einer Person oder Situation umzugehen. Wir können die Wut zum Beispiel nutzen, um unsere Angst vor etwas zu überwinden.

Manchmal ist unsere Wut nicht berechtigt, aber wir sind trotzdem wütend, oder wir wissen vielleicht nicht, ob die Wut berechtigt ist. Wir könnten beispielsweise glauben, dass uns jemand unfair behandelt hat, aber wir sind uns nicht sicher. Wenn wir der Wut mit Achtsamkeit begegnen, wird es schließlich klar werden, ob die Wut berechtigt war oder nicht. In der Zwischenzeit behandeln wir uns selbst (und den anderen Menschen) so freundlich wie möglich. Die Wut ist schon da. Werde nicht wütend auf dich, dafür dass du wütend bist – das wäre so, als würdest du Benzin in ein Feuer schütten, um es zu löschen!

Drei Übungen um Wut-Enthaltsamkeit zu trainieren

Ich möchte nicht sagen, dass wir Wut unterdrücken oder verleugnen sollten, und auch nicht, dass Wut schlecht ist. Nur die Identifikation mit ihr ist das Problem. Was uns beim Umgang mit Wut helfen kann – egal, ob die Wut berechtigt ist oder nicht:

1. „Ich verzichte darauf, recht zu haben – sei es in Bezug zur Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft.“

Oft wollen wir recht behalten und diese Anhaftung hält uns in der Wut fest. Und dabei ist es egal, ob wir wirklich recht haben. Wenn wir daran anhaften recht zu haben, dann erschaffen wir Wut immer wieder neu.

2. „Ich verzichte darauf, den Erfolg meines Lebens daran zu messen, wie gut meine Bedürfnisse erfüllt werden.“

Wenn wir zum Beispiel wütend auf unsere Mutter sind, weil sie sich in irgendeiner Weise nicht um uns gekümmert hat, dann spüren wir diesen Verlust, aber wir messen unser Leben nicht daran. Dadurch hat die Wut, die uns verfolgt, keine Nahrung mehr.

3. „Ich verzichte darauf, der Star meines Lebens zu sein.“

Nehmen wir beispielsweise an, du hast die Tendenz wütend zu werden, wenn dir jemand beim Autofahren in den Weg kommt. Wenn du dich nicht mehr als Zentrum des Universums siehst, dann kann sich diese Wut verändern, denn plötzlich bist du einfach ein Verkehrsteilnehmer wie jeder andere auch – du bist ein Teil des Ganzen. Du bist nicht länger der Star. Du musst nicht alles von deinem Standpunkt aus betrachten.

 

Für die weitere Reflektion:

Das wahrhaft mitfühlende Herz wählt nicht aus

Richtet sich deine Wut normalerweise auf andere oder auf dich selbst, oder beides? Kannst du Mitgefühl für dich selbst aber nicht für andere empfinden, oder anders herum?

Untersuche deine Beziehung zur Wut

Versuche selbst die Verantwortung für deine unangemessenen Handlungen zu übernehmen, aber trotzdem Mitgefühl für deine Fehler und das Leiden, das durch sie entsteht, zu empfinden. Kannst du das auch bei anderen Menschen tun?

Frage dich während des Tages, wie oft du achtsam bist

Achtsamkeit ermöglicht es dir, jede Erfahrung zu erleben, ohne davon überwältigt zu werden, selbst dann, wenn es sich um Emotionen wie Wut, Sorgen oder Angst handelt.

 

Dieser Artikel stammt aus dem Buch Tanz mit dem Leben.